Leseprobe aus unserer Jubiläumsausgabe „Fluchtpunkt 2.0“
Uwe Hermann
Pacco Fantastico
Da sitz ich nun und überlege, welches Thema den Begriff ‚fantastico‘ am besten treffen könnte. Ein italienisches Wort, welches in seiner schlichten Grundform einfach mit „fantastisch“ oder „super“ zu übersetzten wäre. Manchmal ist ja weniger mehr und mir reden die meisten Autoren sowieso viel zu sehr um den heißen Brei herum; und das nur weil ihr Roman dann siebenhundert Seiten umfasst, von denen, wenn man denn solche Art von Romanen lesen möchte, nur zehn Seiten nachhaltig im Gedächtnis haften bleiben. Auch wenn es andere kreative Köpfe gibt, die aus ihrer künstlerischen Ader Ausführungen und Ableitungen realisieren, auf welche ich wahrscheinlich nie kommen würde; wie zum Beispiel ein Liebesgedicht mit „fantastico amor“ betitelt. Denn Italien ist auch Liebe, in etwa so wie man Venedig Romantik zuschreibt. Oder „fantastico amor lyrik“, einen Text über die Leidenschaft und Hingabe zur Tiefe eines jeden Schreibenden. Oder eine fabelhafte Geschichte, in der Zebras mit Löwen befreundet sind und kleine Jungs auf fliegenden Hunden reiten. Fantasievoll ausgeschmückte Lektüre. ‚Fantastico‘ ist eine grandiose, traumhafte, überwältigende, abgefahrene Oper mit einem Donnerwetter am Schluss, aber auch ein gutes Glas Wein, eine Zigarre und ein gutes Gespräch zwischen zwei Freunden. Denn es heißt auch schlicht „super“ und wenn ‚fantastico‘ eine Person wäre, würde sie mir mit einem übertriebenen Lächeln zuzwinkern und mir ihre beiden Daumen entgegenstrecken, um mir klar zu machen, dass alles „super“ ist. Um meine gewagte Einleitung zu beenden, möchte ich mit einem ganz besonderen Typen fortfahren. Meinem eigensinnigen Nachbarn.
Was er nicht mag sind Heißluftballons, Flugzeuge und Hubschrauber und überhaupt alles, was sich am Himmel bewegt. Was er überhaupt nicht mag sind Rollstühle und Kindergeschrei, und auch alles was sich ohne Vorwarnung hastig auf ihn zubewegt. Und was er am allerwenigsten mag ist Silvesterknallerei. Auch wenn er so manches nicht versteht, ist er einer meiner besten Freunde geworden. Seine Gewohnheiten machen ihn speziell und einzigartig. Zum Frühstück lässt er sich gerne Leberwurstbrötchen in den Kaffee tunken. Er ist schon ein komischer Kauz. Ihm wurden Spitznamen wie Dicker, Mausekind und Silberschnäuzchen angedichtet. Er ist im besten Alter und würde er nicht auf den Namen Pacco hören, würde ich ihn ‚fantastico‘ nennen. Seine Liebe ist ehrlich und aufrichtig. Er würde mich beschützen und ohne zu zögern sein Leben für das meine geben. So sehr liebt mich dieses Wesen. So ist diese Geschichte doch eine Liebesbekundung, denn ‚fantastico‘ ist auch Italien. Italien ist auch Liebe und Pacco ein italienischer Name. Er könnte an Geschichten einen ganzen Roman ausfüllen, so circa siebenhundert Seiten. Als offiziell begutachteter, zehntschönster Border Collie Deutschlands, kein Problem. Ob als starker Beschützer, als sich die Wildschweine aus dem Dickicht näherten, oder als Trostspender, als ein Familienmitglied verstarb. Pacco ist mir der treuste Begleiter.
Unsere Seelen führen einen Austausch miteinander. Eine Bindung, der ein Begriff wie ‚fantastico‘ noch nicht einmal ansatzweise gerecht werden könnte, weil es eben diesen noch übertrifft. „Was ist ‚fantastico‘?“, habe ich mich gefragt und ich denke, alles was die Vorstellung von dem übertrifft, ist Wahrhaftigkeit. So treibt mich ein Hund zu philosophischen Gedanken. Ist Lehrer des Lebens, ist Spiegel, ist Wächter und begleitet mich in dem Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Zeit. Alles an Kraft, was er zu geben hat, er gibt es freigiebig her. An dem Tag, als er mich akzeptierte, anfing auf meine Kommandos zu hören, war es, als ob meine Familie Zuwachs bekommen hat. Auch ich würde alles geben, um ihn zu beschützen. Meine Bereitschaft für diesen Hund ist für mich fast unaussprechlich. Irgendwie hat es dieser Hund geschafft, mich zu einem besseren Menschen zu machen. Und das alles ist mein Nachbar. Der Hund von nebenan. Und mein fantastisches und ganz eigenes Wunder, welches ich erleben durfte. Das alles ist Liebe und heißt für mich ‚fantastico‘.